Der Weg zur besten Entscheidung: Mit dem Kopf oder doch mit dem Bauch?

320 Personen, und damit doppelt so viele wie bei der Premiere, haben sich zum Thurgauer Wirtschaftstag «Boom!» angemeldet. Die Referenten gehen der Frage auf den Grund, wie und auf welcher Basis Entscheidungen getroffen werden: Für alle, die unternehmerisch tätig sind, eine Frage von oft existenzieller Bedeutung.

Reto Blum ist an dem von Philipp Gemperle moderierten Anlass als «Entscheidungsarchitekt» angekündigt. Bei seinem Auftritt entpuppt sich der Referent als eloquenter, mitunter schalkhafter Entertainer, der seine Informationen mit Experimenten und unter Einbezug des Publikums anschaulich und nachvollziehbar vermittelt. Rationales Handeln setzt nach den Worten Blums voraus, dass man umfassend informiert ist, sich nicht beeinflussen lässt, konsistent handelt und darauf abzielt, den Nutzen zu maximieren. Beim System «Bauch» handle man hingegen ganz anders, nämlich intuitiv, unbewusst, stereotyp, routiniert, assoziativ, schnell und unkontrolliert.

Entscheiden ist Kopfsache
Blum zeigt in der Folge auf, dass Entscheidungen nicht in erster Linie oder gar ausschliesslich im Kopf, also rational, getroffen werden. Als Erklärung merkt er an: «Denken braucht Energie und erschöpft uns.» Wenn das Hirn keine Widersprüche erkenne, entscheide es sich für die einfachste Lösung. Zur Verdeutlichung dieser These konfrontiert Blum das Publikum mit der Frage, wie viele Tiere jeder Art Moses auf die Arche mitgenommen habe. Alle im Saal wissen es, alle antworten richtig, übersehen dabei jedoch, dass der Handelnde gar nicht Moses war, sondern Noah.

Auf Vertrauen aufbauen
Es sei für uns – und das gelte auch für den Umgang mit Kunden – sehr wichtig, auf Bekanntes und Vertrautes aufbauen zu können, führt Blum aus. Alle Entscheidungen liefen nach Mustern ab, die sich an Referenzpunkten orientierten, welche im Kopf gespeichert seien. «Wir können gar nicht anders, als referenzabhängig zu entscheiden.» Laut Blum werden 95 Prozent der Entscheidungen intuitiv (unbewusst) getroffen und nur 5 Prozent rational (bewusst). Es sei das intuitive Entscheiden gewesen, das den Menschen das Überleben gesichert habe, erklärt Blum. «Überlebt hat, wer schnell entschied», sagt er. Passend zu diesen Ausführungen ist auf der Videowand eine dramatische Szene zu sehen, in der Menschen in der Steinzeit vor einem Mammut flüchten. Sie überlegen nicht lange, sondern handeln rasch und retten damit ihr Leben.

Umgang mit Risiken muss trainiert werden
Ein Gebiet, auf dem man überhaupt nicht lange Zeit zum Nachdenken hat, ist die Aviatik. Das weiss niemand besser als Daniel Pfiffner, der Chef der Pilotenausbildung bei der Schweizer Luftwaffe. Er gibt zu bedenken, dass der Begriff «Risiko» extrem subjektiv sei. «Fliegen ist für mich kein Risiko, für Sie wahrscheinlich schon», sagt der Berufsmilitärpilot. Für die Bewertung eines Risikos seien Kopf und Bauch gleichermassen nötig. Wenn ein Pilot über viel Erfahrung verfüge, ziehe er für die Entscheidungsfindung auch das Bauchgefühl zu Rate. Den Umgang mit Risiko müsse man immer wieder trainieren, denn «Übung macht den Meister», betont Pfiffner. Strategisch wichtige Fragen müssten vorrangig angepackt und priorisiert werden, was eine «extreme Kopfaufgabe» sei. Die Erklärung ist naheliegend. Pfiffner drückt es so aus: «Jede gewonnene Sekunde ist hilfreich.» In der Zivilluftfahrt gelte es, das Risiko möglichst zu vermeiden, in der Militäraviatik wiederum müsse man es managen, denn völlig ausschliessen lasse es sich nicht.

Auch mal das Herz in die Hand nehmen
Weder um Leben noch um Tod, aber auch um Entscheidungen von grosser Tragweite geht es in der beruflichen Tätigkeit von Roger Stilz. Der seit Jahresbeginn amtierende Sportchef des FC St.Gallen verrät, dass er tendenziell ­– das heisst zu 60 Prozent ­– rational entscheide, es im Fussballsport aber «auf jeden Fall einer Kombination von Kopf und Bauch» bedürfe. In der Ausübung seiner Funktion versuche er, nicht allzu emotional zu sein, denn seine Aufgabe bestehe auch darin, die Übersicht zu bewahren. Den Begriff «Risiko» mag Stilz nicht sonderlich. Er ist überzeugt, dass riskantes Handeln mittelfristig in ein Tohuwabohu mündet. Stilz bevorzugt den Begriff «Mut» und erklärt, dass es hin und wieder auch nötig sei, den Bauch sprechen zu lassen und das Herz in die Hand zu nehmen ­– so etwa bei der Verpflichtung oder Einwechslung von Spielern.

KI: Ein Jahrzehnt voller Chancen
Zu den Auswirkungen, welche die einsetzende Anwendung von Künstlicher Intelligenz hat, äussert sich Afke Schouten, Gründerin der in Zürich ansässigen Firma AI Bridge. «Mit KI können wir jede Entscheidung, die wir auf Grundlage von Daten treffen, teilweise oder ganz automatisieren», sagt die Expertin. Sie warnt davor, KI nicht proaktiv zu nutzen. Man sei mit Sicherheit nicht am Ende der Entwicklung angelangt, sondern stehe vielmehr am Beginn eines neuen Zehn-Jahres-Zyklus. Ihr Rat: Man solle nicht überschätzen, was technologisch in den nächsten zwei Jahren geschieht, aber auch nicht unterschätzen, was das kommende Jahrzehnt bringen wird. Chancenreiche Anwendungsmöglichkeiten für KMU sieht Schouten bei der Prozessoptimierung, der Produktinnovation und der Erstellung neuer Businessmodelle.

Der Entscheidungsarchitekt Reto Blum (links) referiert am Thurgauer Wirtschaftstag. Rechts Moderator Philipp Gemperle.


Thurgauer Zeitung, 25. Mai 2024
Text und Bild: Georg Stelzner

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